- pradelcoaching
- 25. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 26. Juli

Wenn einer zieht und einer flieht - die Beziehung retten dennoch möglich?
Wie Paare die Spirale aus Nähe und Rückzug verstehen und durchbrechen können
Viele Paare geraten in Beziehungskrisen, die nicht durch einen konkreten Streit oder ein einzelnes Ereignis entstehen, sondern durch eine wiederkehrende, tief verankerte Dynamik. Einer will mehr Nähe, mehr Verbindung, mehr Austausch. Der andere zieht sich zurück, wird still, blockt ab oder braucht Abstand.
Je mehr der eine auf die Beziehung drängt, desto mehr weicht der andere aus. Je mehr einer sich bemüht, desto weniger spürbar wird der andere. Es ist ein Kreislauf, den viele erleben, aber nur wenige durchschauen.
In der Paarforschung ist dieses Muster gut bekannt. Die Bezeichnungen sind verschieden, aber das Prinzip bleibt gleich: Einer verfolgt, der andere vermeidet. John Gottman spricht vom „emotionalen Rückzug“ als einem der Hauptanzeichen für sich verschärfende Beziehungskonflikte. In der Bindungstheorie spricht man vom Pursuer-Distancer-Cycle. Das Verhalten ist universell und wiederholt sich, wenn es nicht bewusst erkannt und unterbrochen wird.
Was steckt jetzt also hinter dem Ziehen und Fliehen?
Wenn Einer oder Eine in der Beziehung immer wieder das Gespräch sucht, Gefühle thematisiert oder sich nach mehr Nähe sehnt, wirkt das auf den Partner schnell fordernd oder übergriffig, oft wird es auch als nervig oder nervenzerrend und überfordernd empfunden.
Der Rückzug des anderen wiederum fühlt sich für den Nähe-Suchenden wie Ablehnung oder emotionale Kälte an. Dabei sind beide meist innerlich in einer schwierigen Situation.
Der Wunsch nach Nähe entspringt häufig aus Unsicherheit. Unsicherheit seinen eigenen Qualitäten gegenüber, Unsicherheit über den eigenen Platz beim Anderen, Unsicherheit über die eigenen Bedürfnisse und Werte und so weiter.
Wer zieht, kämpft oft unbewusst gegen das Gefühl, emotional allein zu sein. Der Wunsch, der sich übergeordnet zeigt, ist "Ich will die Beziehung retten." Es ist nicht zwangsläufig Kontrolle, sondern ein Versuch, Verbindung herzustellen, weil innere Stabilität fehlt. Weil die Verbindug zu sich selbst nicht da ist.
Der Rückzug dagegen ist oft keine Abwendung, sondern ein Selbstschutz. Wer flieht, fühlt sich häufig überfordert, sprachlos oder überrollt von emotionalen Anforderungen, die er oder sie nicht einordnen kann. Der Rückzug ist dann ein Versuch, wieder Ordnung im Inneren herzustellen. Dabei kommt zwangsläufig das Herstellen einer Verbindung zu kurz.

Es handelt sich also nicht um richtig oder falsch, nicht um Schuld oder Absicht. Es sind automatisierte Reaktionen auf Stress, geprägt durch Bindungserfahrungen, erlernte Verhaltensweisen und biografische Verletzungen.
Wie diese Dynamik Beziehungen untergräbt
Das eigentliche Problem ist nicht das Ziehen oder Fliehen an sich. Entscheidend ist, dass beide Reaktionsweisen sich gegenseitig verstärken. Je mehr Nähe eingefordert wird, desto mehr entsteht das Gefühl, sich verteidigen oder schützen zu müssen. Je mehr sich jemand verschließt, desto bedrohlicher wird das für den Partner, der sich nach Verbindung sehnt.
So entsteht eine Spirale, in der sich beide verlieren. Gespräche scheitern, weil einer zu viel redet und der andere nicht zuhört. Verletzungen bleiben unausgesprochen, weil der eine ständig ausweicht und der andere immer lauter wird. Selbst schöne Momente werden seltener, weil die emotionale Grundstimmung angespannt ist.
Was als Versuch beginnt, sich näherzukommen, endet in gegenseitigem Rückzug, Groll oder Resignation. Nicht selten fühlen sich beide Partner am Ende allein – obwohl sie noch nebeneinander leben.
Was die Forschung dazu sagt
Dr. John Gottman, der über Jahrzehnte Tausende Paare in seinem „Love Lab“ beobachtet hat, sieht in dieser Dynamik ein zentrales Risiko für das Scheitern einer Beziehung. Besonders der emotionale Rückzug des vermeidenden Partners führt laut seinen Studien zu dauerhafter Entfremdung. Wenn einer sich vollständig innerlich entkoppelt, wird echte Verbindung kaum mehr möglich.
Auch die Bindungsforschung liefert Erklärungen: Menschen mit einem ängstlich-ambivalenten Bindungsstil neigen dazu, in Beziehungen eher zu klammern, während vermeidende Bindungstypen früh gelernt haben, sich emotional zurückzunehmen. Wenn diese beiden Typen aufeinandertreffen, ist die Spirale fast vorprogrammiert – außer beide erkennen die Mechanik dahinter.
Wichtig ist: Diese Muster lassen sich verändern, wenn sie erkannt werden. Es ist möglich, wieder in einen echten Kontakt zu kommen, auch wenn die Fronten verhärtet erscheinen.

Was hilft, um aus der Dynamik auszusteigen?
Der erste Schritt ist, die Perspektive zu wechseln. Statt das Verhalten des Partners als Angriff oder Ablehnung zu interpretieren, lohnt es sich, die Funktion dahinter zu sehen. -
Zu aller erst fragen Sie sich:
Was schützt er oder sie gerade? Was wirkt womöglich überfordernd auf den Anderen?Was braucht die Person, um sich wieder sicher zu fühlen?
Dann: braucht es eine bewusste Unterbrechung der Muster.
Wichtig: Das gelingt nicht durch Druck oder Rückzug, sondern durch kleine neue Handlungen.
Wer Nähe sucht, kann lernen, Raum zu lassen. Wer Abstand braucht, kann lernen, sich mitzuteilen, statt zu verschwinden.Gelingt es, dieses Wechselspiel offen anzusprechen, ohne Vorwurf, sondern mit echtem Interesse, entsteht oft ein neues Verständnis. Die Sätze verändern sich. Aus „Du lässt mich immer allein“ wird „Ich merke, dass ich mich manchmal zu sehr an dich klammere, wenn ich mich unsicher fühle“. Aus „Du erdrückst mich mit deinen Erwartungen“ wird „Ich brauche manchmal ein bisschen mehr Zeit, um zu sortieren, was ich fühle“.
Ein solcher Perspektivwechsel braucht Mut, aber er verändert das emotionale Klima grundlegend.
Was ich im Coaching beobachte
In der Arbeit mit Paaren oder Einzelpersonen zeigt sich immer wieder, dass hinter dem Ziehen und Fliehen oft eine tiefe Sehnsucht nach Sicherheit und Verbindung steht. Beide kämpfen auf ihre Weise darum, gehört und gesehen zu werden.
Doch oft fehlt der Raum, um diese Sehnsucht klar auszudrücken. Die einen machen Druck, die anderen weichen aus, und beide fühlen sich dabei unverstanden.
Im Coaching schaffen wir genau diesen Raum. Ich helfe Ihnen dabei, eigene Muster zu erkennen und die dahinterliegenden Bedürfnisse sichtbar zu machen. Das ist kein Aufdecken von Schwächen, sondern eine Rückverbindung mit dem, was Sie in Beziehungen wirklich bewegt.
Dabei geht es nicht nur darum, besser zu kommunizieren, sondern auch darum, sich selbst wieder zu spüren. Wer sich selbst versteht, kann dem Partner auf einer anderen Ebene begegnen. Es entsteht wieder Beziehung, nicht nur Koexistenz.
Was Sie konkret tun können
Reflektieren Sie: Reagiere ich in Konflikten eher mit Rückzug oder mit Drängen? Was will ich damit eigentlich erreichen?Lernen Sie, zwischen Impuls und Handlung eine Pause zu schaffen. Nicht jedes Gefühl muss sofort ausgesprochen oder verdrängt werden.Sprechen Sie über Ihre Bedürfnisse, nicht über die Fehler des anderen.Üben Sie kleine Schritte. Nähe lässt sich nicht erzwingen, aber sie wächst durch Verlässlichkeit, Offenheit und gemeinsame Momente.Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie merken, dass Sie immer wieder an denselben Punkt kommen. Coaching kann helfen, Muster sichtbar zu machen, die allein schwer zu durchbrechen sind.Also zusammengefasst bedeutet das
Beziehungen scheitern selten an mangelnder Liebe, sondern an wiederholten Mustern, die beide erschöpfen. Die Dynamik aus Nähe und Rückzug ist dabei eine der häufigsten und gleichzeitig eine der schmerzhaftesten.
Doch sie lässt sich verstehen, benennen und verändern. Dazu braucht es kein Drama, sondern Aufmerksamkeit, Geduld und die Bereitschaft, sich selbst ein Stück ehrlicher zu begegnen.
Wer aufhört zu ziehen, verliert nicht automatisch Nähe. Und wer aufhört zu fliehen, wird nicht überrollt.
Vielmehr entsteht dazwischen ein Raum, in dem Verbindung wieder möglich wird – ehrlich, lebendig und ohne Kampf.
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